URSPRUNG UND VERWENDUNG
Diese Formulierung wurde in den ursprünglichen Titel des chinesischen Resolutionsentwurfs aufgenommen, den China 2018 dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vorlegte und der zum Gegenstand hatte, „das internationale Anliegen der Menschenrechte durch Win-Win Kooperationen“ (“Promoting the International Human Rights Cause through Win-Win Cooperation”) zu fördern. Diese Formulierung war so umstritten, dass China sie letztlich änderte in „Gegenseitig vorteilhafte Kooperation im Bereich der Menschenrechte“ (“Promoting mutually beneficial cooperation in the field of human rights”).
Nichtsdestotrotz erschien die Phrase in zwei Weißbüchern, die China in den letzten Jahren veröffentlicht hat. So im Weißbuch 2018 mit dem Titel „Fortschritte im Bereich der Menschenrechte in den letzten 40 Jahren Reform- und Öffnungspolitik“ („Progress in Human Rights over the 40 Years of Reform and Opening Up of China“) sowie im Weißbuch 2019 „Das Glück des Volkes anstreben: 70 Jahre Weiterentwicklung der Menschenrechte in China“ („Seeking Happiness for People: 70 Years of Progress on Human Rights in China“).
Der Satz tauchte auch in einem Brief auf, der im Juli 2019 von 37 Ländern in Afrika, Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika unterzeichnet wurde. Darin wird Chinas Vorgehen gegenüber den Uiguren und anderen überwiegend muslimisch geprägten ethnischen Gruppen in Xinjiang verteidigt und Chinas Beitrag zur „Internationalen Angelegenheit der Menschenrechte“ gelobt. Das Schreiben stellt eine direkte Reaktion auf die Aufforderung von 22 vornehmlich europäischen Ländern dar, die China aufgefordert hatten, die Masseninhaftierung von Angehörigen ethnischer Minderheiten in Xinjiang zu beenden.
Doch diese Phrase ist nicht so eindeutig wie sie scheint. Die Formulierung „Angelegenheit der Menschenrechte“ („Human rights cause“) ist die englische Übersetzung des chinesischen Ausdrucks. Es ist der stehende Passus, der generell in der theoretischen Diskussion zum Thema „Menschenrechte“ Verwendung findet. Dadurch, dass Menschenrechte nicht direkt und unmissverständlich als Menschenrechte übersetzt werden, entsteht der Eindruck, dass Menschenrechte abstrakt und auslegungsfähig sind. In Wirklichkeit handelt es bei den Menschenrechten aber um ein klar definiertes Rechtskonzept, das neben Entwicklung und Sicherheit zu den drei Säulen der Vereinten Nationen gehört.
AUSWIRKUNGEN AUF DIE MENSCHENRECHTE
Die Einstufung der Menschenrechte als „Angelegenheit“ im Sinne eines Prinzips, Ideals oder Ziels lenkt von der Tatsache ab, dass es sich bei den Menschenrechten um eine Reihe von gut etablierten und hoch entwickelten rechtlichen Verpflichtungen handelt. Diese Einstufung impliziert nahezu, dass die Menschenrechte nach eigenem Ermessen gehandhabt werden können und dass es dem Staat freigestellt sei, sie zu „übernehmen“ oder auch nicht, wenn er dies wünscht.
Die Präambel der Charta der Vereinten Nationen weist darauf hin, dass Menschenrechte gewissermaßen die eigentliche Daseinsberechtigung (raison d’être) der VN sind. Die Menschenrechte sind in globalen, regionalen und nationalen Gesetzen und Normen verankert. Sie werden von globalen, regionalen und nationalen Institutionen geschützt, umgesetzt und ständig weiterentwickelt.
Die Verwendung der Phrase „die Angelegenheit der Menschenrechte“ („international human rights cause“) birgt die Gefahr, dass die Menschenrechte als ein unscharfes Konzept dargestellt werden, das es erst noch zu entwickeln gilt und welches noch ausdefiniert werden muss. Stattdessen sind die Menschenrechte ein Konzept, das fest im Völkerrecht verankert ist und in den letzten 70 Jahren immer weiter ausdefiniert wurde.