URSPRUNG UND VERWENDUNG
Dieser Grundsatz wurde in Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen von 1945 ausdrücklich für die neu gegründete Organisation festgelegt. In diesem heißt es, dass die Charta der Vereinten Nationen nicht ein „Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“ rechtfertige, es sei denn, es handelt sich um ernsthafte Bedrohungen des Weltfriedens, Friedensbrüche oder Aggressionshandlungen. Der gleiche Grundsatz wird auch für die Beziehungen zwischen den Staaten zugrunde gelegt.
Neun Jahre später arbeitete China dieses Konzept in ein Abkommen mit Indien über den Handel mit Tibet ein. Mit dem Abkommen von 1954 wurden auch die Grundsätze der heutigen chinesischen Außenpolitik vorgestellt: „gegenseitige Achtung der Souveränität und territorialen Integrität“, „gegenseitige Nichtangriffsvereinbarung“, „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“, „Gleichheit und Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen“ und die „friedliche Koexistenz“.
Die sogenannten „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ wurden später in die Präambel der chinesischen Verfassung aufgenommen sowie in viele Verträge zwischen China und seinen asiatischen Nachbarn. Erst vor kurzem hat Präsident Xi Jinping in seiner Eröffnungsrede des Gipfeltreffens des Forums für chinesisch-afrikanische Zusammenarbeit 2018 in Peking die „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ als Teil von Chinas „Fünf-Nein“-Ansatzes gegenüber Afrika genannt (siehe auch unten).
China hat sich auf die Fünf Prinzipien gestützt, um eine spezifische Vision für die Welt anzubieten. In dieser Vision steht die Gleichheit der Souveränität aller Staaten an erster Stelle, egal, ob der Staat groß oder klein, wohlhabend ist oder sich-entwickelnd, sich im Globalen Norden oder im Globalen Süden befindet. Aber China hat sich auch den Grundsatz der Nichteinmischung zu eigen gemacht, um Vorschläge zur Verbesserung der Menschenrechte im Land abzulehnen.
Im Jahr 2018 lehnte China 62 Empfehlungen ab, die der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit der umfassenden periodischen Überprüfung (UPR) abgegeben hatte. Damit widersprach es nicht nur den Ergebnissen der Untersuchung des Rates, sondern kritisierte die Ergebnisse als Einmischung in die Souveränität und die inneren Angelegenheiten Chinas. Die meisten der vom Rat formulierten Empfehlungen betrafen Chinas fortgesetzte Anwendung der Todesstrafe, die Einschränkung individueller Freiheiten oder die Unterdrückung ethnischer Minderheiten in Xinjiang und Tibet.
AUSWIRKUNGEN AUF DIE MENSCHENRECHTE
Mit seiner ständigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und seinen regulären Sitzen in anderen Gremien der VN wie dem Menschenrechtsrat ist China in einer mächtigen Position, um eigene Prioritäten durchzusetzen oder Maßnahmen abzulehnen oder zu konterkarieren, die den Zielen der „Nichteinmischung“ zuwiderlaufen.
China verwendet den Grundsatz der „Nichteinmischung“ nicht nur, um Kritik an Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land zurückzuweisen, sondern wendet diesen Grundsatz auch an, wenn es in anderen Ländern Geschäfte macht. Daher können Länder mit einer schlechten Menschenrechtsbilanz darauf vertrauen, dass chinesische Staatsunternehmen, die in ihrem Hoheitsgebiet tätig sind, bei dort begangenen Verstößen ein Auge zudrücken werden.
Im Extremfall würde „Nichteinmischung“ bedeuten, dass die internationale Gemeinschaft nicht mehr in der Lage ist, die Menschenrechtslage in einem bestimmten Land zu verbessern oder auch nur zu kritisieren. Die Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen würde gedeihen, wenn Versuche von außen gegen Verstöße vorzugehen ohne weiteres als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ abgetan werden können. Das internationale Menschenrechtssystem existiert aber gerade deshalb, weil die Staaten häufig ihrer Pflicht zur Achtung, zum Schutz und zur Einhaltung der Menschenrechte nicht nachkommen und weil die Beendigung schwerer Menschenrechtsverletzungen ein Anliegen und eine Verpflichtung der gesamten internationalen Gemeinschaft ist. Menschen, die keinen Zugang zu wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelfen und Beschwerdemechanismen haben, müssen sich an Institutionen wenden können, die nicht der Kontrolle ihrer Regierung unterliegen. Institutionen wie die Vereinten Nationen, die das Völkerrecht vertreten, sollten in der Lage sein einzugreifen, wenn Regierungen nicht die Rechte der ihnen unterstellten Bevölkerungen schützen oder sie aktiv verletzen.